Als ich vor 2 Jahren nach Irland ausgewandert bin, bekam ich genau zwei Arten von Reaktionen:

  1. Warum denn gerade Irland? Hättest du nicht nach Spanien gehen können, wo es wenigstens warm ist?
  2. Wow Irland, da wollte ich auch schon immer mal hin. Da ist alles so schön grün und es gibt überall Schafe.

Ein “Schade, wir werden dich vermissen” wäre auch schön gewesen, aber das kam zum Glück später noch.
Insbesondere die erste Frage hat mich selbst zum Nachdenken angeregt. Zumal ich während meines Studiums sowohl Zeit in Spanien als auch in Irland verbracht hatte. Nach Spanien zog es mich sogar zweimal und die „Mañana-Mentalität“ und der etwas nach hinten verschobene Tagesrythmus sind eigentlich genau mein Ding. Warum also nicht Spanien?

Auswandern – Warum denn nun Irland?

Nach genauerem Betrachten und rationaler Analyse beschlich mich eine leichte Panik, denn anhand meiner Pro- und Kontraliste hätte ich nach Spanien auswandern sollen. Spanien mit seiner wundervollen Kultur, beeindruckenden Städten und Bauwerken, dem guten Essen und günstigen Wein. Die Niederschlagsmengen und Anzahl der Sonnentage waren im Norden Spaniens allerdings mit denen in Irland vergleichbar.

Das war also das Ergebnis: eine Liste mit einer stark für Spanien ausgeprägten Pro-Seite und ich auf gepackten Koffern mit einem Ticket nach Dublin in der Hand. Doch um nichts in der Welt hätte mich jemand umstimmen können, den Flug gegen einen nach Madrid einzutauschen. Was war es also, das mich an Irland reizte? Zeit diesem Phänomen tiefer auf den Grund zu gehen.

Ein Teil dieser Frage beantwortete sich bereits beim Landeanflug auf Dublin, bei der sich mir der Blick auf die vorgelagerte Insel Howth eröffnete und mir bereits einen Vorgeschmack auf die berüchtigten 40 verschiedenen Grüntöne gewährte. Eher schwer aus der Luft zu erkennen, dafür aber offensichtlich um so wirksamer scheint Ireland’s Eye zu sein – die Insel vor der Insel vor der Insel. Wie ein wachsames Auge liegt der kleine Fels vor Howth. Auf mich hat er eher wie das Auge der Medusa gewirkt – zwar hat er mich nicht zu Stein verwandelt, aber auch nicht mehr aus „seinen Fängen“ gelassen.

Erste Schritte mitten im Herzen von Dublin

Da war ich nun also, 5 Jahre nach meinem 6-monatigen Aufenthalt als Student, zurück in Dublin, bereit ein neues Leben anzufangen und nach wie vor die Frage zu beantworten: Warum eigentlich Irland?

Das Prozedere mit dem Linienbus und der Weg ins Stadtzentrum waren mir vertraut. Endlich wieder den geliebten irischen Akzent in den verschiedensten Ausführungen um mich herum (inwischen kann ich diesen sogar unterschiedlichen Stadtteilen zuordnen). Als ehemaliger Verfechter des Oxford Englisch, kann ich mir heute keinen schöneren Akzent als den irischen mehr vorstellen. Und check, ein weiterer Punkt auf meiner Irland-Pro-Liste.

Der Bus hielt auf der der O’Connell Street, der Hauptader des Stadtzentrums. Das bunte Treiben, die urigen Fassaden der Pubs und der Klang der Gitarre eines Straßenmusikers brachten sofort Erinnerungen zurück; an meine Zeit in Dublin und zahlreiche Besuche in den Jahren danach. An Abende in unserem Lieblingspub Whelans, das es zum Glück noch gibt. An das eine oder andere Pint Cider zu viel, den ich damals für mich neu und als Alternative zu dem viel zu teueren Wein entdeckte. An Ausflüge in die Umgebung und über die ganze Insel, denn schließlich wollte ich damals so viel wie möglich in der mir zur Verfügung
stehenden Zeit mitnehmen. Und nicht zuletzt an Menschen, die mich bei all diesen Erfahrungen begleitet haben und heute noch gute Freunde sind.

Diese Freunde hat es nicht wie mich zurück nach Dublin verschlagen, aber sie kommen nach wie vor gern her und setzten nun große Hoffnungen in mich, dass ich mich in kürzester Zeit hier sesshaft mache, in ein Cottage am Meer ziehe und einen rothaarigen Schäfer heirate. Dieses Bilderbuch-Szenario würde meine Frage – warum Irland – im Prinzip beantworten, aber ich will ja auch ein wenig realistisch bleiben.

Also zurück zu mir und meinen 3 Koffern auf der O’Connell Street. Alle Zelte in Deutschland abgebrochen und auf mich allein gestellt. Naja, so allein war ich zunächst gar nicht, denn zwei gute Freundinnen waren mit von der Partie, um mir den Neustart zu erleichtern. Und sie brachten ein großes Opfer, denn es war ein Neujahrsmorgen…Zumindest sind die Straßen hier nicht mit Resten von Feuerwerkskörpern übersät, denn auf eigene Faust gezündelt werden darf hier an Silvester nicht. Nicht gleich ein Grund hierher auszuwandern, aber ein gutes Argument vielleicht einmal den Jahreswechsel ganz ohne Knallerei zu verbringen.

Während ich mich also gleich unermüdlich auf die Wohnungssuche machte, konnten meine zwei Mädels das touristische Dublin genießen. Im Januar übrigens sehr entspannt mit weitaus weniger Touristen als im Sommer und einem guten Grund mehr sich immer mal in ein warmes Café oder gemütliches Pub zurückzuziehen. Auch wenn das Viertel Temple Bar unter den Irlandkennern als „Touristenfalle“ verpönt ist, bekommt man hier auf Garantie bereits am Nachmittag Live-Musik zu hören und dazu keine schlechte. Für mich nach wie vor eine schöne Art & Weise das irische Lebensgefühl nähergebracht zu bekommen. Und ein paar Klischees sind einfach zu schön, um sie als nicht authentisch abzustempeln und dadurch zu versäumen. Das musikalische Talent der Iren, ihre ausgefallenen Instrumente wie Bodhrán & Co. sowie ihre Gabe Menschen sowohl auf der Straße als auch in Pubs zu begeistern, sprechen definitiv für die grüne Insel.

Für manch einen, inklusive mir, ist dieses positive Lebensgefühl schon Grund genug nach Irland auszuwandern. Kombiniert mit dem Gefühl angekommen zu sein. Was das für jeden einzelnen bedeutet und wo er es findet, ist offenbar sehr unterschiedlich. Aber sowohl diejenigen, von denen die anfangs erwähnte erste Reaktion kam, als auch die, die unter Kategorie zwei fielen, konnten ihr Bild von Irland revidieren, nachdem sie mich das erste Mal hier besucht hatten. Auf der Insel, die zwar immer grün ist, aber so vieles mehr als nur knuddelige Schafe zu bieten hat.

Für manch anderen mag die Frage jetzt immer noch nicht eindeutig beantwortet sein. Aber die Hauptsache ist doch, dass ich mich nicht mehr überzeugen muss, denn ich bin es ja schon längst.

Gastartikel – Wer hat’s geschrieben?

Sylvia hat und hatte beruflich schon immer mit Irland zu tun. Anfang 2014 hat sie sich ihren Traum erfüllt und ist auf die Grüne Insel ausgewandert. Sie berichtet, sozusagen direkt „von der Quelle“, über’s Auswandern im Allgemeinen, den irischen Alltag, gibt Tipps für Ausflüge und die ein oder andere Pubempfehlung.

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